Interview Kozhemyako Anton

Anton Kozhemyako ist ein zertifizierter TRIZ-Experte- Level 4, Gründer der Business-TRIZ- Vereinigung (offizieller Vertreter der Internationalen TRIZ Association in Russland und Mitbegründer der IBTA), lizensiert für die Business-TRIZ-Zertifizierung (IBTA) Level 1 und 2, Autor der Methodik für den Verkauf technisch anspruchsvoller Lösungen, Buchautor „TRIZ: Problemlösung in Business“, „TRIZ: Lösung von Business-Aufgaben. Praktischer Leitfaden für Geschäftsprozesse in Diagrammen“, etc., 20 Jahre Verkaufserfahrung im Industriebereich.

Tatjana Weingart:
Guten Tag, Anton. Danke, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben. Lassen Sie mich zuerst vorstellen. Ich arbeite und studiere berufsbegleitend im Fach «Medienmanagement & Innovation». Seitdem ich zum ersten Mal von TRIZ hörte, lässt mich die Methode nicht los. Dieses Jahr zertifizierte ich mich auf TRIZ-Level 1. Nun, mein bevorzugter TRIZ-Anwendungsbereich sind Geschäftsprozesse. Mein erstes Buch darüber las ich 2022, und das war von Ihnen „TRIZ-Business-Lösungen“. Derzeit schreibe ich meine Diplomarbeit «Prozessinnovation mithilfe der TRIZ-Methode — eine kritische Analyse». Das bedeutet, ich habe als Ziel, sowohl die Vor- als auch die Nachteile von TRIZ zu analysieren und zu zeigen, wo der TRIZ-Ansatz gut geeignet ist und wo es besser ist, eine andere Methode zu verwenden. In meinem Interview wird es um die Anwendung der TRIZ- Methode in Geschäftsprozessen zur innovativen Neugestaltung gehen. Bevor ich dieses Interview verwende, werde ich Ihnen eine schriftliche Version unseres Interviews zur Abstimmung geben. Danach wird unser Interview ins Deutsche übersetzt und es in meiner Abschlussarbeit verwendet. Sind Sie damit einverstanden?

Anton Kozhemyako:
Ja, das ist in Ordnung.

Tatjana Weingart:
Was meinen Sie, passt diese Methode in ihrer ursprünglichen Form zur Innovation von Geschäftsprozessen?

Anton Kozhemyako:
Teilweise. Warum? In TRIZ gibt es aus meiner Sicht nur eine einzigartige Sache — das ist die Arbeit mit Widersprüchen. Das heißt, TRIZ beschäftigt sich ausschließlich mit drei Dingen: Sie sucht nach Widersprüchen, modelliert sie und beseitigt sie. Und all anderen vielen Werkzeuge führen uns im Grunde genommen zu den Widersprüchen. Es gibt eine Reihe von Lösungstechniken in TRIZ, die es uns ermöglichen, diese Widersprüche zu beseitigen. Also, aus dieser Meta-Story-Perspektive passt es auf jeden Fall. Aber wenn man sich in die Details vertieft, dann tauchen sehr viele Fragen auf.

Tatjana Weingart:
Gut, danke. Aber Sie haben gerade Widersprüche erwähnt. Bedeutet das, dass diese Technik der Widersprüche am besten für Geschäftsaufgaben geeignet ist, habe ich das richtig verstanden?

Anton Kozhemyako:
Ja, das ist korrekt.

Tatjana Weingart:
Passt sie in ihrer ursprünglichen Form oder eher in einer angepassten Version?

Anton Kozhemyako:
Wir verwenden für die Lösung von Geschäftsaufgaben nur das Modell des technischen Widerspruchs. Das Modell des physikalischen Widerspruchs verwenden wir nie in diesem Kontext. Ich denke, es ist an dieser Stelle überflüssig. Das heißt, das physikalische Widerspruchsmodell behandelt widersprüchliche Anforderungen an einen Parameter eines Elements im System. Und ich denke, das ist für die Lösung von Geschäftsaufgaben völlig unnötig. Der technische Widerspruch kann zum einen völlig unterschiedliche Elemente im System abdecken, und zum anderen führt er zusätzlich zur Erhöhung und Verringerung von Parametern, aber auch die Kategorien „Hinzufügen“ und „Entfernen“ fließen da mit ein. Das bedeutet: Wir haben etwas zum System hinzugefügt und etwas daraus entfernt, und auch eine Verbindung aufgebrochen oder hinzugefügt. Technische Widersprüche für Geschäftsprozesse sind viel besser geeignet, da sie praktisch alles berücksichtigen, was notwendig ist. Administrative Widersprüche betrachte ich gesondert – das ist im Grunde genommen kein Widerspruch, das ist eher eine Form der Aufgabenstellung. Aber es gibt einen interessanten Punkt: Haben wir es in technischen Aufgaben mit 3-4 Widersprüchen zu tun, so könnten bei Geschäftsprozessen bis zu 100 Widersprüche beobachtet werden.

Tatjana Weingart:
Business-TRIZ hat also viel mehr Widersprüche. Heißt es, dass es schwieriger damit zu arbeiten ist? Denn von all diesen Widersprüchen, wie ich Sie verstanden habe, muss man dann am Ende eins wählen?

Anton Kozhemyako:
Nein, auf keinen Fall! Wenn Sie das tun, werden Sie die Geschäftsaufgabe zu stark einschränken. Das bedeutet, Sie müssen sie alle bearbeiten. Aber hier ist die gute Nachricht: 90 % dieser vielfachen Widersprüche werden sofort «aus dem Stegreif» gelöst, ohne analytische Techniken: Sie notieren den Widerspruch und setzen gleich daneben die Lösung. Und „nur“ die restlichen 10 % dieser vielfachen Widersprüche erfordern Arbeit mit analytischen Techniken. Und wenn in den technischen Aufgaben alle TRIZ- und ARIZ-Techniken verwendet werden können, dann sind diese Ansätze für Geschäftsaufgaben in der Regel überflüssig. In 90% der Fälle ist nichts davon erforderlich.

Tatjana Weingart:
Wie viel Kenntnis in TRIZ ist erforderlich, um Business-TRIZ zu verstehen?

Anton Kozhemyako:
Ja, man muss sich wirklich gut damit auskennen. Ich kann sagen, es ist am besten, sich zuerst mit der technischen TRIZ vertraut zu machen, denn Business-TRIZ verwendet die meisten Instrumente der technischen TRIZ, aber mit Anpassungen. Und natürlich sehen diese Instrumente im Ingenieurwesen plakativer und verständlicher aus. Deshalb empfehle ich immer zuerst die technische TRIZ zu lernen, und dann erst zur Business-TRIZ überzugehen, denn Business-TRIZ fügt zur technischen TRIZ zusätzliche Nuancen. Zum Beispiel können der funktionale Ansatz in der technischen TRIZ streng strukturiert sein. Dort können die Komponenten Felder, Substanzen, Kombinationen von Feldern und Substanzen usw. vorhanden sein. Aber in Business-TRIZ taucht ein neuer Parameter auf, nämlich immaterielle Entität. Deshalb ist es besser, sich zuerst mit den materiellen Aspekten vertraut zu machen, um zu verstehen, wie man diese immateriellen Entitäten hinzufügt, verstehen Sie?

Tatjana Weingart:
Ich verstehe.

Anton Kozhemyako:
Das bedeutet aber nur, sich zumindest auf akzeptablem Niveau mit der technischen TRIZ vertraut zu machen. Sie müssen nicht unbedingt technische Aufgaben lösen können, aber Sie sollten zumindest verstehen, wie diese Werkzeuge funktionieren. Ein weiterer Punkt: Für Geschäftsprozesse sollte das TRIZ-Konzept der Idealität in zwei Teile aufgeteilt werden: Es gibt den Nutzwert und es gibt die Idealität, und das ist nicht dasselbe. Wenn Sie die Tools der Business-TRIZ verwenden, müssen Sie diese Konzepte klar voneinander trennen und sie unterschiedlich anwenden.
Ein weiterer Punkt, der auch noch recht anspruchsvoll ist, ist der Mensch. Wenn Sie die Tools der Business-TRIZ anwenden, müssen Sie den Menschen imaginär in zwei Teile zerlegen: Der Mensch als funktionale Einheit, als Roboter – wie er eine Operation am Fließband durchführt. Und der Mensch mit seinen Zielen, Werten, Emotionen, persönlichen Ambitionen und so weiter. Wenn Sie nicht aufteilen, gibt es ein Durcheinander. Und immer, wenn Sie in der Geschäftsumgebung arbeiten, arbeiten Sie zuerst mit der funktionalen Seite und fügen dann das menschliche Material hinzu, wo Sie auch Ressourcen schöpfen können. Zudem verstehen Sie so, welche Verzerrungen dies mit sich bringt, und Sie erhalten somit sekundäre Aufgaben. Ich habe versucht, dies in meinen Büchern zu vermitteln.

Tatjana Weingart:
Ja, es ist keine einfache Angelegenheit. Wie wird dieses Thema Ihren Schülern vermittelt, die gerade erst mit Business-TRIZ beginnen? Wie schwer oder leicht fällt es ihnen, zu lernen?

Anton Kozhemyako:
Alle sagen, dass es schwer ist. Früher, übrigens, kamen nur etwa 50 Prozent bis zum Ende des Studiums. Jetzt schaffen es fast alle. Es ist sehr schwierig, und die Lernenden stellen eine Unmenge an Fragen, auf die wir natürlich geduldig antworten.

Tatjana Weingart:
Woran könnte es liegen, dass jetzt fast alle bis zum Ende schaffen?

Anton Kozhemyako:
Ich denke, es hängt mit der jetzigen wirtschaftlichen Situation zusammen.

Tatjana Weingart:
Wann begann sich Business-TRIZ zu entwickeln?

Anton Kozhemyako:
Business-TRIZ begann seine Entwicklung in den 90er Jahren, aber nicht in Russland. Obwohl Veröffentlichungen, zum Beispiel von Mikhail Rubin und anderen Autoren, ebenfalls in den 90er Jahren erschienen. Valeri Souchkov (Niederlande) begann in den 90er Jahren mit der Entwicklung von Business-TRIZ. Er ist wesentlich weitergegangen und hat das Bild der modernen Business-TRIZ geprägt. In Russland entstand das signifikante Interesse an TRIZ im Geschäftsbereich ab 2010-2012. Warum? Nun, weil TRIZ immer als kompliziert angesehen wurde, und einfachere Dinge wurden bevorzugt. Niemand schaute auf TRIZ. Als einfachere Ansätze zu scheitern begannen, erkannte man, dass systemische Methodologie benötigt wird, und TRIZ fällt in die Kategorie des systemischen Ansatzes. So begann man zu verstehen, dass für komplexe Dinge systemische Methodik gebraucht wird. Es ist schwer, aber notwendig.

Tatjana Weingart:
Ist es auch einer der Vorteile von TRIZ – systemischer Einsatz? Wobei die Tatsache ist, dass es sehr schwer zu erlernen ist, macht ein großes Minus der Methode aus?

Anton Kozhemyako:
Ja! Aber schwer zu erlernen, heißt es nur bis zu dem Zeitpunkt, wenn man das überwunden hat. Einmal gelernt – kein Minuspunkt mehr! Aber es gibt einen schwerwiegenderen Minuspunkt: Die Analyse braucht richtig viel Zeit.

Tatjana Weingart:
Gerade deshalb, weil es sich um systemische Analyse handelt?

Anton Kozhemyako:
Ja, hauptsächlich. Wenn Sie TRIZ anwenden, durchlaufen Sie zuerst die Phase der Problematisierung. Was bedeutet Problematisierung? Am Anfang scheint alles verständlich zu sein. Beginnt man mit der Umsetzung- nichts funktioniert. Es entsteht eine Problematik. Es gibt ein Ziel, ein Objekt, mit dem man arbeitet, aber es fehlen die Mittel zur Zielerreichung, weil die Einschränkungen es nicht erlauben, das Problem auf herkömmliche Weise zu lösen. Ein Problem. Aber wenn es ein Problem gibt, müssen Sie etwas Ernsthafteres anwenden, das Ergebnisse liefert. Unternehmen ziehen TRIZ hinzu, um das zu untersuchende System bis auf die Atome zu zerlegen, und dabei werden Widersprüche entdeckt. Und das dauert. Wenn wir mit einem Unternehmen arbeiten, stellen wir ein Expertenteam zusammen und arbeiten 2-3 Monate an einer Aufgabe. Das ist normal.

Tatjana Weingart:
Ein ganzes Team sogar! Nicht nur eine Person?

Anton Kozhemyako:
Wenn es eine ernsthafte Aufgabe ist, dann stellen wir ein Team aus den Mitarbeitern des Kunden zusammen und arbeiten selbst darin als TRIZ-Experten. Der Kunde und die Teammitglieder müssen gar nicht wissen, was die TRIZ-Abbreviatur bedeutet. Im Laufe der Zeit führen wir dann allmählich TRIZ-Tools ein, und das Team bewegt sich systematisch auf das Ziel zu. Aber verstehen Sie, was TRIZ im Wesentlichen tut? TRIZ macht nur eine Sache: Sie technologisiert unser Denken! Und was bedeutet es, das Denken zu technologisieren? Das bedeutet, dass TRIZ in unserem Kopf gewisse Räume schafft und diese dann über seine Werkzeuge in bestimmten Beziehungen miteinander verknüpft. Damit dies funktioniert und zu einer Lösung führt, müssen diese Räume mit Sachkenntnissen füllen. Natürlich verfügen wir nicht über das Fachwissen unseres Kunden, daher bilden wir direkt ein Team aus seinen Schlüsselmitarbeitern. Und mit Hilfe der Business-TRIZ-Tools arbeiten wir auf die Lösung hin. So gehen wir immer vor. Das dauert lange, es nimmt viel Zeit in Anspruch. Es ist hart, aber wenn man Ergebnisse braucht …

Tatjana Weingart:
Sie können wirklich gut erklären. Bei mir ist es sogar ein Bild im Kopf entstanden. Wissen Sie, wie in der Kriminalistik, wenn ein komplizierter Fall auftritt, ein Expertenteam gebildet wird?

Anton Kozhemyako:
Ja, das ist genauso.

Tatjana Weingart:
Gibt es noch weitere Vor- und Nachteile der TRIZ-Methode im Vergleich zu anderen Methoden?

Anton Kozhemyako:
Der wichtigste Vorteil von TRIZ im Vergleich zu anderen Methoden ist die Arbeit mit Widersprüchen. Warum erreichen andere Methoden oft nicht das Ergebnis, das TRIZ erzielen kann? Nur aus einem Grund! Weil sie lineare Logik verwenden: „Wenn- dann“. TRIZ hingegen verwendet dialektische Logik, gerade durch Modelle von Widersprüchen. Und wo gibt es dialektische Logik? Im funktionalen Analysemodell gibt es keine dialektische Logik, im Ursache-Wirkungs-Analysemodell wird ebenfalls keine dialektische Logik verwendet, in Flussanalysen gibt es keine dialektische Logik … Sie tritt nur bei der Arbeit mit Widersprüchen auf, wenn Sie das gewünschte Niveau von zwei Eigenschaften gleichzeitig erreichen müssen. Dann beginnt dialektische Logik zu wirken. Das ist der Hauptvorteil von TRIZ, und meiner Meinung nach ist das der einzige Grund, warum TRIZ weltweit tatsächlich angewendet wird. Und daraus ergibt sich noch ein großer Vorteil: TRIZ kann sich mit anderen Methoden verknüpfen, weil andere Methoden in der Regel nach linearer Logik arbeiten. Zum Beispiel müssen wir eine strategische Sitzung durchführen. Wir nehmen die benötigten Analysetechnologien, wie das in der IT- Umgebung verwendete Instrument „Impact Mapping“ (dieses Instrument wird von IT- Fachleuten bei der Entwicklung neuer IT-Produkte eingesetzt). Ich habe es in Aktion gesehen. Ein ausgezeichnetes Werkzeug! Es führt das Konzept der Aktivität ein. Wow, das ist großartig!
Ja, übrigens, ich habe gerade mit einem Team gesprochen: Diese Leute sind sehr wissbegierig, großartige Leute. Sie haben mich gebeten, den Hauptunterschied zwischen technischer TRIZ und Business-TRIZ zu erklären. Ich habe darüber nachgedacht und am Ende erklärte ich es so: Die technische TRIZ beschäftigt sich mit Systemen der technischen Welt. Was machen diese Systeme? Sie funktionieren. Business-TRIZ hingegen beschäftigt sich mit sozialen Systemen. In sozialen Systemen wird Aktivität entfaltet. Aktivität und Funktionieren, verstehen Sie, das sind ganz unterschiedliche Dinge! Im Funktionieren fehlt die Kategorie Ziel vollständig. Und jetzt stellen Sie sich vor, wir müssen nicht das Funktionieren, sondern die Aktivität steuern. Das ist eine knifflige Aufgabe! Warum habe ich über Aktivität gesprochen? Ich dachte: Wie kann man Aktivität modellieren? Dann habe ich dieses Instrument bei den IT-Fachleuten gefunden- „Impact Mapping“. Und dort sind Ziele, Akteure, Aktivität und Aufgaben sehr einfach miteinander verbunden. Großartig! Über Ziele kommen wir zu den Akteuren, verknüpfen die Akteure mit der Aktivität, und über die Aktivität gelangen wir zu den Aufgaben. Super! Ich habe dieses Instrument genommen und begonnen, strategische Sitzungen damit abzuhalten. Und wohin bin ich durch dieses Instrument herausgekommen? Natürlich zu den Widersprüchen! Und dann kamen die bekannten Mechanismen von TRIZ zum Einsatz. So lassen sich die Ansätze von TRIZ leicht mit beliebigen analytischen Werkzeugen verknüpfen.
In Fabriken funktioniert TRIZ sehr, wenn Qualitätsmanagementsysteme vorhanden sind. Beispielsweise durchlaufen sie die Prozesse mit Lean Six Sigma-Tools und finden viele Lücken und Problemzonen. Welche „Löcher» sie selbst ohne TRIZ schließen können, beseitigen sie sofort. Aber wo sie stehenbleiben und nichts tun können, da ist TRIZ erforderlich. Warum kann TRIZ gemeinsam mit Lean Six Sigma eingesetzt werden? Dank seiner einzigartigen Lösungstechniken. Das ist der Hauptvorteil von TRIZ!

Tatjana Weingart:
Wie weit ist TRIZ im Businessbereich verbreitet? Verfügen Sie über Fakten dazu? Zum Beispiel: Wie viele Firmen verwenden Business-TRIZ?

Anton Kozhemyako:
Nun, ich habe nie solche Studien durchgeführt, also kann ich leider keine genauen Zahlen nennen. Dafür müsste man eine Aufgabe stellen und eine Untersuchung durchführen. Was ich sicher sagen kann, ist, dass wir derzeit mit ziemlich großen russischen Kunden arbeiten, wie TMK, Roskosmos und so weiter. Dabei sind rund 30 % der von Produktionsunternehmen angegebenen Probleme technische Aufgaben. Aber 70 % davon bezeichnen wir als technisch-administrative Aufgaben. In 70 % der Fälle haben wir also mit kombinierten Problemen zu tun. Es ist eine gängige Sache: Ein Problem, bei dem es einen technischen Aspekt und einen administrativen Aspekt gibt! Und hier müssen Sie sofort sowohl die technische TRIZ als auch die Business-TRIZ verwenden. Also 70 %- technisch-organisatorische Aufgaben, was bedeutet, dass das Potenzial für Business-TRIZ tatsächlich enorm ist.

Tatjana Weingart:
Es entsteht der Eindruck, dass Business-TRIZ in Russland beliebter ist? Woran könnte das liegen?

Anton Kozhemyako:
Ich denke, dass in der Welt noch nicht genug Menschen wissen, dass TRIZ für Business-Prozesse verwendet werden kann. In Russland wissen das bereits viele, aber in der Welt sind es weniger, denke ich. Übrigens gab es vor fünf Jahren die Meinung: „TRIZ wurde für Ingenieure entwickelt, daher kann sie nur auf Technik angewendet werden.“ Nun, was kann ich dazu sagen? Beton wurde entwickelt, um Blumenbeete herzustellen, und Schießpulver wurde für Feuerwerke erfunden. Und was ist das Ergebnis? Ein recht zweifelhaftes Argument. Seit ein paar Jahren hört man solche Thesen nicht mehr. Die Zeit wird kommen, und Business-TRIZ wird breiter eingesetzt. Für uns hat es seine Vorzüge bereits bewiesen. Wir sehen, dass bei der Lösung von Business-Problemen die Anzahl der Widersprüche um ein Vielfaches größer ist als bei technischen Aufgaben. Und gegen Widersprüche kommt nichts besser an als TRIZ. Zweitens kann man sagen, dass es manchmal nicht möglich ist, ein technisches Problem zu lösen, aber ein Business-Problem wird immer gelöst. Die Zeit ist noch nicht reif für Business-TRIZ, um es in großem Umfang im Geschäftsbereich einzusetzen. Aber alles spricht für Business-TRIZ.

Tatjana Weingart:
Welche anderen Tools verwenden Sie zusammen mit TRIZ?

Anton Kozhemyako:
In letzter Zeit verwenden wir sehr aktiv die systemisch-integrative Methodologie von Georgy Shchedrovitsky. Wir verwenden verschiedene analytische Ansätze.
Sie haben nach den Nachteilen gefragt … Ich nenne normalerweise die Hauptprobleme von TRIZ wie folgt:

  • Zeitaufwändig – Es erfordert viel Zeit für die Analyse.
  • Der mathematische Apparat von TRIZ ist recht schlecht entwickelt, und deshalb gilt TRIZ nicht als naturwissenschaftliche Disziplin und kann es derzeit auch nicht sein. Warum wird TRIZ in der wissenschaftlichen Gemeinschaft nicht besonders geschätzt? Das ist einer der Gründe, aber nicht der einzige.
  • Ein weiterer Grund ist ein unklarer Begriffsapparat. In jeder Disziplin sollte es eine Liste von Begriffen geben, die genau definiert sind. Vielen Dank an Valeri Souchkov, der ein sehr gutes Glossar entwickelt und veröffentlicht hat. Mikhail Rubins Team hat vor ein paar Wochen ebenfalls ein gutes Glossar vorbereitet. Das ist ein großer Schritt nach vorne, da die Terminologie in TRIZ recht schwach ist.

Tatjana Weingart:
Was denken Sie, warum viele TRIZ-Experten russischsprachig sind, obwohl sie in verschiedenen Ländern leben? Liegt das Problem in der Übersetzung in andere Sprachen?

Anton Kozhemyako:
Ich denke, es gibt eine Vielzahl von Faktoren. Zum Beispiel werden in Russland viele Methoden verwendet, die in den USA entwickelt wurden und im Geschäftsumfeld gut funktionieren. Es gibt keine Probleme. Warum setzt sich TRIZ in der Welt nicht so gut durch? Meiner Meinung nach ist TRIZ ziemlich komplex zu erklären. Übrigens habe ich versucht, die Erklärung von TRIZ zu vereinfachen. Zumindest für Business-TRIZ. Ich weiß nicht, ob mir das gelungen ist, aber in meinem neuen Buch „TRIZ:
Ein schrittweises Handbuch für Unternehmen“ von 2023 habe ich versucht, die TRIZ-Tools so einfach wie möglich zu präsentieren, und ich hoffe, es ist mir gelungen. Wenn mehr Literatur veröffentlicht wird, in der TRIZ einfach erklärt wird, wird die Beliebtheit der Methode zunehmen. Ehrlich gesagt muss man sich mit TRIZ auseinandersetzen, aber in TRIZ gibt es nichts Wirklich Schwieriges. Ich denke, wir sollten lernen, es einfacher und vor allem praxisnäher zu präsentieren.

Tatjana Weingart:
Zuvor haben Sie gesagt, dass es am besten ist, sich zuerst mit technischem TRIZ auseinanderzusetzen, und generell ist es am besten, sich zuerst damit zu beschäftigen. Um eine messbare Größe einzuführen, auf welchem Zertifizierungslevel kann man Business-TRIZ verstehen?

Anton Kozhemyako:
Ich denke, um 90 % der Projekte zu bearbeiten, benötigen Sie Level 1. Wenn Sie jedoch zu Aufgaben der Prognose und zur Synthese neuer Systeme übergehen möchten, benötigen Sie Level 2. Wenn Sie bereits sehr komplexe Widersprüche an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Technik lösen möchten, dann benötigen Sie das Level 3. 4-5 sind erforderlich, wenn Sie sich professionell mit TRIZ befassen möchten.
Zur Information: Die Grundlagen der Business-TRIZ-Standards wurden von Valeri Souchkov entwickelt. Die International Business TRIZ Association (IBTA) befindet sich in den Niederlanden. Wir unterstützen diesen Standard.

Tatjana Weingart:
Warum nicht alle TRIZ-Experten Business-TRIZ gutheißen?

Anton Kozhemyako:
Ja, mir ist das auch oft aufgefallen. Viele TRIZ-er sind der Meinung, dass TRIZ eher für Technik ist. Ich sehe das nicht so.

Tatjana Weingart:
Es gibt auch Autoren, die ARIZ auf Business übersetzen. Was denken Sie, ist das eine geglückte „Übersetzung»?

Anton Kozhemyako:
Möchten Sie meine Meinung? In Business-TRIZ ist ARIZ grundsätzlich nicht anwendbar. Es ist ein überflüssiges Werkzeug und in diesem Kontext völlig unnötig. Unsere Organisation hat bereits viele Projekte im Bereich Business durchgeführt, und ehrlich gesagt, in der Praxis werden Sie in Business nie auf eine Aufgabe stoßen, die Sie 1) mit ARIZ oder 2) mit Hilfe physischer Widersprüche lösen müssen. Darüber hinaus benötigen Sie im Business-TRIZ sehr schnelle Lösungstechniken, aufgrund der vielen Widersprüche, mit denen Sie konfrontiert sind.

Tatjana Weingart:
Vielen Dank für das Interview! Alles Gute Ihnen und einen schönen Abend.

Anton Kozhemyako:
Danke, Ihnen auch. Einen schönen Abend!